- Literaturnobelpreis 1948: Thomas Stearns Eliot
- Literaturnobelpreis 1948: Thomas Stearns EliotDer amerikanisch-englische Schriftsteller wurde für seine außerordentliche Leistung als Wegbereiter der Dichtung der Gegenwart ausgezeichnet.Thomas Stearns Eliot, * Saint Louis (Missouri) 26. 9. 1888, ✝ London 4. 1. 1965; 1910 Master of Arts an der Harvard University, 1911 Aufenthalt in Paris; 1911-14 Postgraduate in Harvard, 1915 Studium am Merton College in Oxford, 1916-18 Lehrtätigkeit an der Oxford University und Angestellter der Lloyds Bank (bis 1925), ab 1925 Direktor beim Verlag Faber & Gwyer (später Faber & Faber); 1932-33 Professor an der Harvard University.Würdigung der preisgekrönten LeistungDass Thomas Stearns Eliot 1948 den Nobelpreis erhielt, war eine jener Entscheidungen des Stockholmer Komitees, die damals wie heute auf weltweite Zustimmung stieß. Der damals 60-jährige hatte mit seinem 1922 erschienen Gedicht »Das wüste Land« bereits zu Lebzeiten Literaturgeschichte geschrieben, obwohl er selbst das 433 Zeilen lange Werk später in typisch britischem Understatement einmal als »rhythmisches Nörgeln« abgetan hat.Der Ruhm des »wüsten Landes« hatte seinen Ursprung nicht in literarischen Zirkeln, sondern ging von Studenten und jungen Schriftstellern aus, die in dem Gedicht die Offenbarung einer modernen Sensibilität sahen. Mit seinen Jazzrhythmen, seinen Bildern aus Stadt- und Vorstadtleben, seinem modischen Einsatz anthropologischer Mythen, seiner Einführung von Zitat und Parodie traf es offenbar den Nerv der Zeit.Tiefe Eindrücke einer EuropareiseDer in den USA in Saint Louis geborene und aufgewachsene Eliot hatte bereits als junger Harvard-Student der Literatur eine starke Neigung entgegengebracht, die ein Studienaufenthalt in Paris noch vertiefte. Dort entdeckte er die Lyrik des Symbolisten Jules Laforgue und besuchte die Vorlesungen des Philosophen Henri Bergson. Diese Erfahrungen waren wohl auch entscheidend für seinen Entschluss, Amerika den Rücken zu kehren. 1914 hatte Eliot ein Reisestipendium der Harvard University erhalten, das ihn unter anderem nach Oxford führte. Dort beschloss er 1915, Dichter zu werden und in England zu bleiben. Bestärkt wurde er in diesen Entscheidungen von Ezra Pound, den er in London kennen gelernt hatte.Pound, ebenfalls gebürtiger Amerikaner, las und überarbeitete Eliots Gedichte, die zuvor niemand hatte veröffentlichen wollen, und er sorgte dafür, dass mit »The love song of J. Alfred Prufrock« im Juni 1915 Eliots erster Gedichtband erschien. Im selben Monat fand auch Eliots erste Heirat statt. Mit seiner Frau Vivien verband Eliot eine neunzehn Jahre währende, hochproblematische und weitgehend unglückliche Beziehung, die unter anderem auch durch den labilen Gesundheitszustand seiner Frau anhaltend belastet wurde.Fortan musste sich Eliot seinen Lebensunterhalt selbst verdienen, zunächt als Lehrer, ab 1917 dann acht Jahre lang bei der Lloyds-Bank. 1925 erhielt er dann ein Angebot, als Mitherausgeber in das Londoner Verlagshaus Faber & Gwyer einzutreten, wo er bis kurz vor seinem Tod 1965 blieb.Eliot war bereits als junger Autor ein erklärter Antiromantiker. Er versuchte das Poetische vom nur Schönen, Gefälligen und Eingängigen zugunsten des Komplexen, Schwierigen und Wahren zu befreien. Seine Lyrik war deshalb von Anfang an eingebettet in ein weit gestecktes literarisches Bezugsfeld, das ihr die angestrebte Dichte und Klassizität gab. Anspielungen und Zitate sorgten dafür, dass die Persönlichkeit und Stimme des Dichters hinter anderen Persönlichkeiten zurücktraten. Er fand seine eigene Stimme, indem er zuerst die anderer reproduzierte; von mythischer Vorzeit bis zur modernsten Literatur sammelte er alles, was ihm nützlich erschien, und baute es in seine Gedichte ein. Stil und Methode glichen der von James Joyce, dessen berühmtestes Werk »Ulysses« wie »Das wüste Land« 1922 erschien und das Eliot so stark beeindruckte wie kein anderer Roman. Joyce war sich ebenso wie Eliot der Historizität der Sprache bewusst, der Relativität jedes Stils. Dass Eliot als Einziger der drei Wegbereiter der Moderne den Nobelpreis erhielt — Pound und Joyce gingen bekanntlich leer aus —, mag ihn zu den generalisierenden Floskeln in seiner Dankesrede vor der Schwedischen Akademie im Dezember 1948 bewogen haben. Dort sah er die Auszeichnung vor allem der Lyrik als solcher gewidmet.Insgesamt war er sich der Gefahren der Auszeichnung, die seine Popularität noch einmal immens steigerte, bewusst. Gegenüber Freunden äußerte er: »Der Nobelpreis ist die Eintrittskarte zum eigenen Begräbnis. Niemand hat danach noch etwas geschaffen.« Tatsächlich waren auch Eliots größte Werke zu diesem Zeitpunkt allesamt bereits erschienen. Zwar reüssierte er am Broadway 1949 noch mit dem Theaterstück »Die Cocktailparty«, doch nachhaltiger Ruhm blieb dem Dramatiker Eliot versagt, was seiner enormen Popularität jedoch keinen Abbruch tat.Die turbulente Ehe mit seiner Frau Vivien hatte er 1934 unter schweren Schuldgefühlen beendet, nachdem sie mehrmals in psychiatrische Kliniken eingewiesen worden war und ihn an den Rand der Belastbarkeit gebracht hatte. 1957 heiratete er dann seine langjährige Sekretärin, Valerie Fletcher, die 38 Jahre jünger war und mit der er bis zu seinem Tod noch acht glückliche Jahre verlebte.Lyrik als Spiegel eines WeltbildsDer Erfolg von Eliots Lyrik liegt wohl vor allem in ihrer Interpretationsbreite begründet: Jeder kann in den anspielungsreichen, mit Zitaten gespickten Werken das finden, was er finden will, getreu Eliots Motto, »Es gibt keine Wahrheit, nur eine Anzahl von Stilen und Interpretationen — aufeinander folgend in einem endlosen und offenbar sinnlosen Prozess«. Dies war das Weltbild, das er als Philosophiestudent gehabt hatte, und es war auch das Gestalt gebende Prinzip, das hinter der ursprünglichen Fassung des »wüsten Landes« stand. Die Bilder und Themen des fünfteiligen Gedichtzyklus stellen ein ständiges Wechselspiel von verinnerlichten und neu eingeführten Elementen dar, deren Wortstrom sich aus anderen Dichtern speist. Das »wüste Land« bildet lediglich ein Gerüst, um das andere ihre eigenen Theorien ranken, sodass es sowohl als intime Autobiografie als auch als Darstellung des Zusammenbruchs einer Gesellschaft und als buddhistische Meditatiton über den Gral gelesen werden kann. Wie auch alle weiteren Werke Eliots ist das »wüste Land« nur an der Oberfläche von einer dünnen Schicht großer Wahrheiten überzogen. In seiner frühen Fassung, vor der Bearbeitung durch Ezra Pound, war das »wüste Land« aus mehrerlei Stoff gewoben, deshalb wirkte es weniger streng und strukturiert. Tatsächlich war es vor allem Pounds Leistung, die dichte, komplexe Struktur des Gedichts durch konsequentes Streichen zu erreichen. Pound hörte im Manuskript des »wüsten Lands« den untergründigen Rhythmus des Gedichts heraus, während er das wegkürzte, was ihm als äußerliches Material nur angehängt erschien. Lediglich den letzen Abschnitt, »was der Donner sagt«, den Eliot während einer Erholungskur in Lausanne geschrieben hatte, akzeptierte Pound kommentarlos.J. Zwick
Universal-Lexikon. 2012.